Stadtbild im Wandel
Technik und Straßencafes
Die Stadt braucht die Symbiose von Virtuellem und Realem
Mit "Metropolis" entwirft der Filmregisseur Fritz Lang
1927 die Stadt der Zukunft:
im Metropolis der Reichen herrscht der Überfluss allen Irdischen während
Arbeiter puppenhaft mechanisch riesige Maschinen bedienen. Symphonie des Maschinentaktes,
Rhythmus der Bewegungen, blitzfunkelnder Stahl, Mechanik pur in einer dunklen
düsteren Umgebung.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts versprechen die Zukunftsszenarien eine noch technischere
Welt: Anonymisierte Anhäufungen von Büros und Wohnungen, von Robotern
gesteuerte Verkehrsleitsysteme, schwebende Fabriken im Weltall. Industrieroboter
werkeln in nüchternen Hallen, Serviceroboter erledigen lästige Hausarbeiten.
Von Online-Terminals können alle Arten von Information abgerufen werden.
Die Zukunft der Städte als kühl-technokratischer Weltentwurf?
Seit Jahrtausenden gelten Städte als der Motor der Zivilisation, des Fortsehritts
und der kulturellen Errungenschaften und Innovationen. In den "Megacities",
den Weltmetropolen mit jeweils mehr als zehn Millionen Einwohnern, fahnden Stadtplaner
und Stadtentwickler nach Ideen und Konzepten, wie und wo Menschen in einer Umgebung
leben können, die nicht als menschenfeindlich anzusehen ist.
Doch inwiefern müssen sich gerade kleinere Städte, Oberzentren wie
zum Beispiel Erlangen, für die städteplanerische Zukunft wappnen?
Einfluss auf das Umland
Der Deutsche Städtetag versteht in seinem Leitbild für
die Stadt der Zukunft in Europa als erste Grundfunktion städtischer Politik
die Integration, die Menschen, unterschiedliche Lebensweisen und Lebensstile,
Interessen, Ziele und Kulturen zusammenführt.
"Man kann Stadtentwicklung aber nicht nur isoliert
für die Stadt betreiben", kritisiert der Stadtgeograf Prof.
Fred Krüger. Die Stadtoberen müssten über Stadtgrenzen hinweg
denken. "Die Stadt der Zukunft muss als wichtiges Kriterium das Umland
mit einbeziehen, aus dem die Menschen in die Stadt kommen, um zu arbeiten, einzukaufen,
etwas nachzufragen", so der geschäftsführende Vorstand des Instituts
für Geografie an der hiesigen Universität weiter.
Schon immer übte die Stadt durch die Jahrhunderte hindurch einen starken
Einfluss auf das Umland aus. Wenn sich die Strukturen in der Stadt verändern,
wirkt sich dies auch auf das Umland aus, indem zum Beispiel Lebensstile städtischer
werden.
"Größere Gemeinden wie zum Beispiel Eckental
könnten eine eigene Zentralität entwickeln, die ihre Attraktivität
steigert; neben Einkaufszentren können auch neue Arbeitsplätze entstehen",
sagt Krüger, der sich in seinen wissenschaftlichen Arbeiten auf die Themenbereiche
Angewandte Stadtforschung und Stadtplanung, Entwicklungsforschung und neue Kulturen
in der Stadt konzentriert.
Besonders populär geworden seit den neunziger Jahren ist das Stadtbild
der "kompakten und durchmischten" Stadt. Das Ziel: höhere Lebensqualität
und hoher Wohnwert durch Dichte und vielfältige Angebote auf engem Raum
in den jeweiligen Stadtvierteln und ökologische Verantwortung, die den
Mobilitätserfordernissen einer modernen Gesellschaft nachkommt.
"Viele Städte versuchen Leitbilder zu entwerfen,
die kommunizierbar sind und die die Identifizierung der Menschen mit ihrer Stadt
ermöglichen sollen. Die Absicht, die dahinter steckt, ist es, Stadtentwicklung
zu kontrollieren."
Damit lassen sich, so die Vorstellung, eigentlich kontrollierbare Entwicklungen
kontrollieren:
"Wer sich mit seiner Stadt identifiziert, engagiert
sich und trägt damit zur Kontrollierbarkeit bei", so Krüger.
Er sieht das Dilemma einer langfristigen Stadtentwicklung in dem Verhältnis
zwischen privaten und öffentlichen Räumen, aber auch in der unscharfen
Trennung zwischen kontrollierten Entwicklungen und der freien individuellen
Entfaltung der Bürger. Einerseits wollen Städte sich ihre multikulturelle
Vielfalt erhalten und rühmen sich ihrer vielen gesellschaftlichen Gruppen,
die das Leben in der Stadt bunt und spannend machen. Andererseits aber sollen
etwa Obdachlose aus dem Bild der "sauberen" Stadt verschwinden.
Fred Krüger: "Jede Stadtverwaltung muss sich
fragen, wie viel Spielraum man der Entwicklung zugesteht."
Die Unentschlossenheit der Stadtentwickler und -planer spiegelt sich
auch in der Architektur und in den Gebäudebenutzungen wider. Billig-Mode-Läden,
Sex-Shops oder Filialbetriebe großer Ketten sind verpönt. Andererseits
will man etwa die Ansiedlung von Filialen fördern., weil deren Anbieter
einen zugkräftigen Namen haben und attraktive Shopping-Erlebnisse vorgaukeln.
"Wird die Filialisierung der Innenstadt jedoch reglementiert,
läuft man Gefahr, auf Grund von Investorenmangel Leerstand herbeizurufen,
der noch mehr zur Verarmung der Städte beiträgt." Kommunalpolitik
im freien Spiel der Marktkräfte.
Zugleich müssen die Städte darauf achten, nicht mehr rückgängig
zu machende Fehlentwicklungen und soziale Probleme zu vermeiden.
Wie steht es also um Erlangens Zukunft als Stadt? In dem vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung ausgeschriebenen Wettbewerb "Stadt 2030"
versuchte Erlangen Antwortenzugeben. Die Stadt konzipierte (in Zusammenarbeit
mit der Universität und der Siemens AG) sich dabei als Wissens-, Bildungs-
und Innovationsstadt, zusammengefasst in dem so genannten
"Erlanger Quartett" (Medizin und Gesundheit,
Kultur, Bildung und Ethik, E-City und Wissensstadt).
Ist diese Zukunftsskizze gleichzeitig auch Erlangens Vision? "Wer eine
Vision für Stadtentwicklung entwickelt, konzeptioniert auch immer eine
Vision für die Gesellschaft", sagt der 42-Jährige, der sich mit
"Urban Studies" beschäftigt. Grundsätzlich betrachten die
Verfechter der Urban Studies die Stadt als soziales Konstrukt. In ihr spiegeln
sich Gesellschaft und gesellschaftliche, kulturelle Prozesse wider.
"Dann muss ich allerdings den Rahmen der Stadtentwicklung
verlassen und eine ganzheitliche Vision entwerfen, die sich später automatisch
wieder in der Stadt wiederfindet."
Das Leitbild, das Erlangen für sich in Anspruch nimmt, setzt unter anderem
auch auf die "Medizinstadt".
"Für einen bestimmten Teil ist dieses Leitbild
nicht schlecht. Doch es eignet sich eher für die wirtschaftliche Entwicklung
und die Entwicklung der Stadt als Forschungsstandort. Die Fräge aber ist,
ob dieses Leitbild alltagstauglich ist, ob es nicht zu abstrakt ist",
so Krüger.
Identifizieren sich die Bürger wirklich mit ihrer Medizin-Stadt? Welchen
Nutzen bringt die Vermarktung des Medizin-Leitbildes dem Einzelnen?
"Angesichts der hohen Fluktuation in Erlangen ist
es ohnehin schwierig, Identifikation zu schaffen."
Krüger geht noch einen Schritt weiter. Er stellt die Entwicklung von Leitbildern
generell in Frage. Für Fred Krüger spielt das Modell einer vernetzten
Region die ausschlaggebende Rolle - Nürnberg, Fürth und Erlangen im
Konzert der Städte im Ballungsraum.
So will sich der Verein "Die Region Nürnberg e. V." einen Platz
unter Deutschlands Wirtschaftsräumen sichern, Investoren anlocken und bastelt
an einer eigenen Identität des mittelfränkischen Ballungsraumes. Reicht
es aus, mit Marketing- und Imagekampagnen den Regionengedanken zu propagieren?
Nein, meint Krüger.
"Der Gedanke einer gut funktionierenden Region muss
entsprechend gestärkt werden, ohne dass die darin integrierten Städte
ihre Eigenständigkeit und ihre Unverwechselbarkeit verlieren; das schließt
den Blick über den Tellerrand nicht aus. Dieses Leitbild muss alltagstauglich
werden, nutzbar und spürbar für jeden Einzelnen".
Die Vision einer Region erfordert also mehr. "Großstädte in
einer Region wie Nürnberg, Fürth und Erlangen müssen sehr bedingungslos
und konsequent mit modernen Nahverkehrsmitteln wie zum Beispiel durchgehenden
Stadtbahnen miteinander vernetzt sein, um Wohnen, Arbeiten und Freizeit miteinander
zu verbinden."
Hin zur E-City
In einer Gesellschaft, in der sich zunehmend alles vernetzt -
sowohl real als auch virtuell -, mache es vielleicht gar keinen Sinn mehr, auf
Kompaktheit innerhalb der Region zu setzen, glaubt Krüger. Erlangens Bestrebungen
hin zur E-City haben im Bereich der virtuellen Vernetzung bereits zu ersten
Ergebnissen geführt: Als Pilotprojekt in Deutschland startete hier etwa
die elektronische Patientenakte; online können die Einwohner digital mit
dem Rathaus kommunizieren und sich vom Home-PC aus Anwohnerparkausweis bestellen.
"Alles, was sich virtualisieren lässt wie zum
Beispiel sich online eine Müllmarke zu besorgen oder Personalausweise zu
beschaffen, soll virtualisiert werden. Der Stadtraum als Raum des Erlebens muss
aber weiterhin bestehen bleiben. Das gibt dem Physischen mehr Freiraum."
Denn gerade die Lebendigkeit von Straßencafes, die Gerüche einer
Stadt oder die Emotionen, die mit einer Stadt verbunden werden, prägen
eine Stadt.
"Eine Stadt verändert sich subtiler als es utopistische
Entwürfe suggerieren", so Krüger. Spezialgeschäfte
entstehen, die etwa nur Handycover feilbieten. Doch die Grundrisse der Städte
wie zum Beispiel die Kernstadt Erlangens haben sich seit Jahrhunderten nicht
verändert. Visionen benötigen immer radikale Schnitte, allerdings
niemand legt fest, wann genau sich etwas verändert.
"Die Aufgabe von Stadtentwicklung wird sein, eine
Symbiose von Virtuellem und Urbanität herzustellen, also real bestehende
und virtuelle Orte zu vernetzen". so Krüger.
Die Nachbarschaft im Kiez bleibt.
Copyright für "1000 Jahre Erlangen": Erlanger Nachrichten
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