Medizintechnik

Mehr Zeit für Patienten

Siemens projektiert "Gesunderhaltung ein Leben lang".

Mit Siemens Medical Solutions sitzt einer der größten Anbieter im Gesundheitswesen in Erlangen. Mitten in der Hugenotten Stadt errichtete der Konzern ein neues Medizintechnik-Werk und investierte dort etwa 102 Millionen Euro. Seinen Umsatz von 7,2 Milliarden Euro im Jahr 2001 erwirtschaftete der Unternehmensbereich mit 30000 Mitarbeitern weltweit, davon 5300 am Standort Erlangen, mit neuartigen medizintechnischen Produkten, Dienstleistungen und Komplettlösungen.

Pro Jahr meldet "Med" mehr als 360 Potente an und stellt innovative Verfahren vor: So können etwa mittels "virtueller Endoskopie" "Fahrten" durch Herzkranzgefäße aufgezeichnet werden, ohne den Patienten auch nur zu berühren. Ultraschallaufnahmen, die von Embryonen kurz vor der Geburt gemacht wurden, sind beinahe identisch mit Fotos von dem Neugeborenen.

 

Prof. Erich R. Rehnhardt

Prof. Erich R. Reinhardt machte die Siemens-Medizintechnik zum ertragreichsten Unternehmensbereich des Gesamtkonzerns. Der 55-Jährige studierte Elektrotechnik in Stuttgart und stieg 1983 bei Siemens ein und leitete das Geschäftsgebiet Magnetresonanz-Tomogrophie. Nach seinem Auslandsengagement als Chef der Siemens-Landesgesellschaft Indien in Bombay kehrte er nach Erlangen zurück und übernahm 1994 die Leitung des Bereichs Medical Solutions. Der gebürtige Baden-Württemberger wurde im vergangenen Jahr in den Vorstand der Siemens AG berufen. Erich Reinhardt ist verheiratet, hat zwei Töchter.
Ilona Hörath sprach mit dem leidenschaftlichen Golfer über die Zukunft des Gesundheitswesens und der Medizintechnik.

1. Herr Reinhardt, Sie leiten den Bereich Siemens Medical Solutions unter dem Motto "Gesunderhaltung ein Leben lang" und wollen, so ihr eigener Anspruch, der erfolgreichste Lösungsanbieter im Gesundheitswesen weltweit sein. Welchen Herausforderungen steht die Medizintechnik heute gegen über?

Reinhardt:
Wir befinden uns in einem globalen Geschält, haben uns einem starken Wettbewerb zu stellen. Nur mit Weltklasseprodukten können wir unserem Anspruch gerecht werden und einen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheits-Versorgung leisten. Dies erfordert technologische Führerschaft auf sehr unterschiedlichen Gebieten wie Röntgendiagnostik, Computer- und Magnetresonanz-Tomographie, Ultraschall sowie audiologischen Produkten, um nur einige Technologien zu nennen. Hinzu kommt die Informationstechnologie, wichtig im Gesundheitswesen für die Optimierung der Arbeitsabläufe sowie Dienstleistungen.

2. Wenn es um das Gesundheitswesen geht, setzt Siemens Medical Solutions voll und ganz auf das Internet. Was möchten Sie damit erreichen und inwiefern profitiert der Patient da von?

Reinhardt:

Auch das Internet ermöglicht ganz neue Anwendungen in der Medizin, zum Beispiel im Bereich der Rehabilitation. Der Patient ist zu Hause im vertrauten Umfeld über Telemedizin mit dem Krankenhaus vernetzt, kann so betreut werden und erspart sich zum Beispiel häufige Fahrten. Allgemein gilt sicher, dass der so genannte Homehealthbereich wachsen wird.

3. Mittlerweile unterstützen Computer komplette Operationen; sie selbst vergleichen den Gesunderhaltungs- und Heilungsprozess mit industriellen Workflow-Management-Prozessen, Verliert sich da nicht der Patient in einem unüberschaubaren Dschungel von Apparaten und Softwareprogrammen?

Reinhardt:
Es ist genau umgekehrt: Im Zentrum steht der Mensch. Beispielsweise tragen unsere Lösungen dazu bei, dass die Behandlung s ablaufe im Krankenhaus von der Aufnahme über die Diagnose bis zur Entlassung optimiert werden. Lästige und nebenbei teure Wartezeiten bleiben dem Patienten erspart, ohne dass die Behandlung darunter leidet.

4. Wie kann dies angesichts von qualifiziertem aber überlasteten und schlecht bezahlten Personal in der Zukunft umgesetzt werden?

Reinhardt:

Zunächst verschafft ein effizientes System dem Personal mehr Zeit, sich den Patienten zu widmen. Damit steigt die Qualität der Behandlung, Andererseits werden die Interessen des Patienten die Abläufe stärker beeinflussen. Der Betroffene wird auch besser informiert sein. Stellen Sie sich vor, dass sich eine ganze Familie mit Informationen aus dem Internet versorgt, wenn einer der Angehörigen krank ist und gezielt nach Therapiemöglichkeiten.

5. Bedeutet das, dass der Patient der Zukunft ein durchaus eigenverantwortlich Denkender und Handelnder ist?

Reinhardt:
Der Patient ist aufgeklärter und fragt dezidiert nach. Der Betroffene macht sieht kundig. Schon heute haben die Gesundheitsseiten im Internet die höchsten Zugriffszahlen. Das Interesse an Gesundheit wächst, und damit auch die Bereitschaft, in diese zu investieren. Damit wird auch das Gesundheitssystem transparenter.

6. Neben den Produkten offerieren Sie auch die Verwaltung von Patientendaten mittels des Internets.

Reinhardt:

Das Internet wie auch Festnetze spielen wie bereits angedeutet für uns eine zentrale Rolle. Mit ASP (Application Service Provider) sind wir heute in der Lage, für Krankenhäuser und Praxen die Verwaltung medizinischer und administrativer Daten zu übernehmen. In unserem Rechenzentrum in Malvern (USA) werden im Rahmen des Datenmanagements täglich mehr als 100 Millionen Transaktionen getätigt. Damit ergibt sich für unsere Kunden ein signifikantes Ein-sparpotenzial, das wiederum dem Patienten zugute kommt.

7. Wie steht es dabei um die Datensicherheit und vertraulich e Pa tien teninforma tionen ?

Reinhardt:
Datensicherheit ist ein ganz wichtiges Thema. Entsprechend der Gesetzgebung des jeweiligen Landes erfüllen unsere IT-Lösungen die Standards für Datensicherheit. Anders würden unsere Produkte auch gar nicht die notwendige Zulassung erhalten.

8. Wohin wird sich die medizinische Versorgung entwickeln?

Reinhardt:
Das technologische Innovationspotenzial ist sehr groß im Sinne eines Nutzens für den Patienten. So arbeiten wir beispielsweise daran, dass Diagnosen schneller, präziser und umfassender getroffen werden können. Wir investieren jährlich rund neun Prozent unseres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Über 360 Patente im Jahr beweisen unser Innovationspotenzial recht eindrucksvoll. Zwei Drittel unserer Produkte sind jünger als drei Jahre.

9. Wie erforschen Sie die Bedürfnisse der Menschen?

Reinhardt:
Über unsere Kunden, die Ärzte. Dazu kooperieren wir mit führenden Universitäten und Instituten in der ganzen Welt. In der Region sind das zum Beispiel die Friedrich-Alexander-Universität und das Klinikum Nürnberg. Unser partnerschaftliches Verhältnis zum Kunden ermöglicht es uns, Patientenbedürfnisse zu erkennen, zu analysieren und dadurch unsere Lösungen für das Gesundheitswesen patientenorientiert anzubieten.

10. Stichwort "lokale Konzentration": Welche Rolle spielt im fränkischen "Medical Vallay" der Standort Erlangen für sie?


Reinhardt:
Wir haben in Erlanger, große Geschäftseinheiten, von hier aus betreiben wir Geschäfte in der ganzen Welt und haben eine Spitzenposition erarbeitet. In neun
von zehn Med-Geschaftsfeldern sind wir Nummer eins oder zwei. Durch die Besuche unserer internationalen Kunden erfährt die Region Aufmerksamkeit bei renommierten Gesundheitsanbietern in der ganzen Welt.

11. Was braucht Erlangen, um dem häufig als politischen Begriff verwendeten "Medical Valley" wirklich Leben einzuhauchen?

Reinhardt:
Damit Erlangen als Medizinstandort erfolgreich bestehen bleibt, ist eine stimulierende Atmosphäre nötig. Gewiss wurde schon viel erreicht, dennoch bedarf es noch einiger Anstrengungen, um im weltweiten Vergleich bestehen zu können. Wir müssen attraktiv sein für die Besten, nur so können wir, damit meine ich sowohl Med als auch die Stadt Erlangen und die Universität, im harten internationalen Wettbewerb bestehen. Dazu ist es hilfreich, Stimulationen zu erzeugen, so das s kreative Köpfe angezogen werden. Und Kompetenz auf allen Gebieten ausstrahlen.

12. Wenn Sie einen Blick in die ferne Zukunft wagen, etwa dreißig bis fünfzig Jahre vor aus: Was komm t auf den Patienten zu?

Reinhardt:
Wenn ich in die Zukunft sehe, gehe ich davon aus, dass für den Menschen die Gesunderhaltung und die Prävention im Mittelpunkt stehen wird. Die medizinische Betreuung wird qualitativ hochwertiger und persönlicher sein, da der Arzt dank intelligenter Lösungen mehr Zeit haben wird, sich dem gut informierten Patienten zu widmen. Auch der Servicegedanke wird sich stärker ausgeprägt haben. Die Gesundheit wird einer der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren werden.

13. Die Entwicklungen in der Biotechnologie sorgen immer wieder für Diskussionen. Wenn tatsächlich durch das so genannte "Tissue Engineering" künstliche Gewebe und Organe aus natürlichen Zellen gezüchtet werden, um Fehlfunktionen ausgleichen oder verloren gegangenes Körpermaterial zu ersetzen, und diese "Ersatzteile" nicht vom Organismus abgestoßen werden - ist darin überhaupt noch eine Medizintechnik vonnöten?

Reinhardt:
Auf jeden Fall. Wir sind überzeugt, dass Gentechnik einen höheren Bedarf an leistungsfähiger Diagnose erfordert. Denn es müssen Fragen beantwortet werden: Wie sieht die Therapie aus? Wie sprechen die Präparate an? Denn es müssen Fragen beantwortet werden: Wie wirken Genpräparate?
Wie sieht die Therapie aus? Will man zum Beispiel kleinere Tumore schon sehr früh erkennen, benötigt man immer anspruchsvollere Diagnose verfahren. Das sind einerseits noch leistungsfähigere Bild gebende Verfahren, aber auch neue Produkte im Bereich der in vitro Gen- /Proteinanalyse.

14. Was tut Siemens in diesem Bereich?

Reinhardt:
Wir kooperieren mit führenden Unternehmen wie zum Beispiel der Erlanger november AG bei biotechnologischen Diagnoseverfahren. Im Bereich Molecular Imaging arbeiten wir mit Partnern
Zusammen, um frühzeitig Tumorerkrankungen erkennen zu können und um Therapien gezielt zu unterstützen.

15. Sehen Sie die präventive oder die kurative Medizin als "Gesunderhaltung" des Menschen?

Reinhardt:
Wir müssen das gesamte System verstehen, bestehend aus Prävention, Heilung und Rehabilitation, gegebenenfalls Pflege, In dem zuvor bereits angesprochenen zunehmenden Bewusstsein für Gesundheit beim Menschen sollte allerdings in 50 Jahren die Prävention im Mittelpunkt stehen.

1998 entschied sich die Siemens AG zum Bau einer Produktionsanläge für medizintechnische Geräte im Röthelheimpark und stärkte damit Erlangen als "Herz" des bayerischen "Medical Valley" den Rücken.
Foto: Siemens


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