Energiemail 09/2003 von Dr. Jürgen Grahl (03. November 2003), Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. (1) Vor etwa einem Jahr hatte ich mich in dem Aufsatz "Wachstumsfetischismus" mit der Abhängigkeit unseres Wirtschaftssystems von permanentem Wachstum beschäftigt und dieses Phänomen vor allem mit einem eklatanten Ungleichgewicht zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Energie erklärt, welches dazu führt, dass bei "Nullwachstum" die Arbeitslosigkeit unaufhaltsam ansteigt. Als Diskussionsbeitrag zur Wachstumsproblematik möchte ich heute eine etwas andere, die sog. freiwirtschaftliche Sichtweise zu Wort kommen lassen, die sich auf die eskalierenden Zinslasten und die hierdurch bedingten ökonomischen und sozialen Verwerfungen als Motor des Wachstumszwanges konzentriert. (In "Wachstumsfetischismus" war ich hierauf bereits kurz eingegangen.) In einem späteren Beitrag will ich mich mit den Verbindungen zwischen diesen beiden auf den ersten Blick recht unterschiedlichen Erklärungsansätzen für den Wachstumszwang eingehender beschäftigen, u.a. mit der Frage, inwieweit die negativen Auswirkungen des Zinses zumindest teilweise auf das Ungleichgewicht zwischen Energie und Arbeit zurückgeführt werden können. Der untenstehende Beitrag "Wachstum, Wachstum ... über alles?" stammt von Helmut Creutz, Autor des vielbeachteten Buches "Das Geldsyndrom - Wege zu einer krisenfreien Marktwirtschaft" und einer der führenden Köpfe der freiwirtschaftlichen Bewegung. Der zweite Teil dieses Artikels ist in gekürzter Form auch im aktuellen Solarbrief 3/03, S. 30ff. nachzulesen. Unabhängig davon, ob man der freiwirtschaftlichen Analyse in allen Punkten folgt, kommt ihr m.E. doch das große Verdienst zu, die weitgehend tabuisierten Auswirkungen des Geldsystems auf die ökologische wie soziale Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft deutlich zu machen. Besonders bemerkenswert erscheint mir die Feststellung, dass uns ohne ein grundlegendes Umsteuern "nur die Alternative [verbleibt], entweder mit MEHR WACHSTUM den ÖKOLOGISCHEN KOLLAPS zu beschleunigen oder mit WENIGER WACHSTUM den SOZIALEN." (2) Aufmerksam machen möchte ich Sie ferner auf ein jüngst erschienenes Buch, das sich ebenfalls mit dem Einfluss der Geld- und Finanzwirtschaft auf die Realökonomie befasst: den von einer internationalen und interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Federführung von Stefan Brunnhuber und Harald Klimenta verfassten ersten Bericht der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste mit dem Titel "Wie wir wirtschaften werden - Szenarien und Gestaltungsmöglichkeiten für zukunftsfähige Finanzmärkte". Einige Informationen hierzu finden Sie ebenfalls im Anschluss. Herzliche Grüße, Ihr Jürgen Grahl
Deflation - ein Gespenst geht um! Von "Inflation" spricht man bekanntlich, wenn zu viel Geld im Umlauf ist und als Folge die Preise steigen, von "Deflation", wenn umgekehrt zu wenig Geld umläuft und als Folge die Preise fallen. Während der Begriff "Inflation" seit Jahrzehnten zu unserem täglichen Vokabular gehört, ist "Deflation" den meisten kaum geläufig. Selbst in den Lehrbüchern wird sie überwiegend als eine längst besiegte Horrorerscheinung aus vergangenen Zeiten abgehandelt. Geht man dieser Spur genauer nach, dann stellt sich heraus, dass ganze Staaten und Kulturen in Deflationen versunken sind. Ganz einfach deshalb, weil die Menge des Geldes bis vor knapp hundert Jahren noch an Gold und Silber gebunden war. Denn genauso wie Länder und Volkswirtschaften durch neue Edelmetallfunde und die damit möglichen Geldmengen-Ausweitungen aufblühten, so brachen sie zusammen, wenn das Geld in Truhen verschatzt, in Krügen vergraben oder von den Reichen für Schmuck und Geschirr eingeschmolzen wurde. Kein Wunder, dass Gold und Silber damals der häufigste Anlass für kriegerische Eroberungen waren.
Die große Deflation und der Wirtschaftseinbruch um 1930 Man hatte zwar acht Jahre zuvor in der großen Inflation unter Schmerzen gelernt, dass Geldmengenausweitungen vermieden werden müssen, leider aber nicht begriffen, dass im umgekehrten Fall auch umgekehrte Maßnahmen erforderlich sind. Das heißt, in Deflationszeiten sind Geldmengenausweitungen angesagt, selbst wenn man dabei die Deckungsvorschriften übertritt. Die Folge der falschen Entscheidungen Anfang der 30er Jahre war darum ein Wirtschaftseinbruch, der mit einer für uns heute unvorstellbaren Not verbunden war. Ohne diese Not- und Hungerzeit und die daraus folgenden politischen Entwicklungen wäre die Geschichte ganz gewiss anders geschrieben worden. So klagte die Gewerkschaftszeitung "Metall" im Jahre 1953 rückblickend zu Recht: "Zweimal wurde das soziale Gefüge des deutschen Volkes in den Grundfesten erschüttert: während der großen Inflation des Jahres 1923 und nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929. Ohne diese Katastrophen wäre der Nationalsozialismus niemals eine Macht geworden."
Wie ist das heute mit der Deflation? Deflationen in unseren Tagen sind also nicht mehr Folge ungenügender Geldversorgung oder Geldverknappung durch die Notenbanken, sondern Folge unzureichender Nutzung des Geldes durch die privaten und öffentlichen Haushalte, also die Folge von Kaufkraftblockaden trotz genügender Geldversorgung. Jede Unterbrechung des Geldkreislaufs aber hat liegenbleibende Waren zur Folge; dies führt zu reduzierten Nachbestellungen und Produktionsrückgang und damit, bei ungekürzten Arbeitszeiten, zwangsläufig zu Arbeitslosigkeit. Während es also zu Inflationen nur bei Geldvermehrungen durch die Notenbanken kommt, können Deflationsentwicklungen auch an den Notenbanken vorbei und bei ausreichend vorhandenen Geldbeständen einsetzen, nämlich dann, wenn die Kaufbereitschaft der Bevölkerung zurückgeht. Was wir heute "Deflation" nennen, kann also - genau betrachtet - eine ganz natürliche Entwicklung aufgrund zunehmender Sättigungen sein! Die Notenbanken können dann nur noch versuchen, Nachfrage und Kreditaufnahme durch Absenkung der sogenannten Leitzinsen zu stimulieren, wie das besonders in den USA in den letzten Jahren geschehen ist. Ein anderes Mittel ist, durch höhere Staatsverschuldungen und die Vergabe öffentlicher Aufträge die Wirtschaft zu beleben.
Beispiel: die Wirtschaftslähmung in Japan Als dann nach rund zwei Jahren dieser Spekulationsexzess ebenfalls zusammenbrach und die Beleihungsgrenzen wieder sanken, kamen auch die Banken in Schwierigkeiten, die aufgrund der gestiegenen Grundstückspreise zu hohe Kredite an Eigentümer und Erwerber ausgegeben hatten. Durch staatliche Unterstützungen und erlaubte Buchungstricks wurde zwar die Mehrzahl der Banken bis heute vor der Pleite bewahrt, aber das Gros der Bürger zog aus all dem die Konsequenz, sparsamer als bisher zu leben und vorsichtiger mit Geld umzugehen. Da aufgrund der Kaufzurückhaltungen die Preise fielen und damit die Kaufkraft des Geldes stieg, wurde diese Kauf- und Geldzurückhaltung auch noch belohnt. Damit verstärkten sich Zurückhaltung und Preisverfall, und eine konjunkturelle Abwärtsspirale setzte ein, die nur schwer aufzuhalten ist. Da mit dieser deflationären Entwicklung auch die Bankzinsen fielen, lohnte es sich auch immer weniger, gespartes Geld zur Bank zu tragen. Dieser Trend zur Geldhortung in den eigenen vier Wänden wurde durch das Wissen über die kritische Situation der Banken noch verstärkt. Und da man für die Geldhaltung zu Hause zweckmäßigerweise über einen Safe verfügen sollte, war die Tresor-Produktion in Japan zeitweise der am stärksten boomende Industriezweig. Verständlicherweise versuchte der Staat mit allen Mitteln, diese konjunkturgefährdende Kaufzurückhaltung zu durchbrechen und das Wachstum der Wirtschaft zu beleben. Das geschah vor allem durch immer höhere schuldenfinanzierte Ausgaben, die in den letzten zwölf Jahren die Staatsverschuldung von 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf sage und schreibe 160 Prozent verdoppelten (was das heißt, wird deutlich, wenn man diese Marke mit den erlaubten 60 Prozent im Euro-Raum vergleicht!). Aber auch diese staatlich finanzierten Konjunkturmaßnahmen konnten die Lähmung des Wirtschaftsgeschehens nicht stoppen. Vielmehr verschwand auch das zusätzlich vom Staat in Umlauf gesetzte Geld sehr schnell wieder in den Tresoren der Privathaushalte. Selbst der verzweifelte Versuch des Staates, die Wirtschaft mit terminierten und an die Bürger verschenkten Kaufgutscheinen in Schwung zu bringen, ging weitgehend ins Leere. Zwar wurden alle Gutscheine vor dem Verfallstermin eingelöst, aber der damit ausgelöste Nachfrageschub entsprach nur einem Drittel ihres Nennwertes. Mit der übrigen Kaufkraft erhöhten die Bürger nur wieder ihre Bargeldhaltungen! Ein wesentlicher Grund für die bislang noch begrenzten negativen Folgen der japanischen Misere sind zweifellos die niedrigen Zinsen. Denn damit sinken nicht nur die Schuldenlasten, sondern tendenziell auch die Zinsanteile in den Preisen. Zwar gehen mit diesen sinkenden Zinssätzen auch die Zinserträge der privaten Haushalte zurück, aber davon sind. netto gerechnet, nur die reicheren Minderheiten betroffen. Die breite Bevölkerungsmehrheit zieht dagegen aus diesem Rückgang der Zinsbelastung einen Nutzen. Und natürlich der Staat, der trotz höchster Verschuldung derzeit nur relativ geringe Zinszahlungen aus seinen Einnahmen aufzubringen hat. Umgekehrt wird aber auch deutlich, in welche Schwierigkeiten die japanische Wirtschaft geraten könnte, wenn die Zinsen wieder auf eine "normale" Höhe ansteigen. Das gilt vor allem für den Staat, der heute, bei niedrigen Zinsen, mit seinen hohen Schulden halbwegs geordnet leben kann.
Welche Konsequenzen ergeben sich aus den japanischen Erfahrungen? Doch statt diese Entwicklung zu akzeptieren, ruft alle Welt nur nach Wachstum. Dabei weiß letzten Endes jeder Mensch, dass es in begrenzten Räumen niemals grenzenloses Wachstum geben kann. Kein Baum wächst darum in den Himmel und kein Mensch über das 20. Lebensjahr hinaus. Jeder weiß auch, dass man bei gleichbleibender Leistung und gleichbleibendem Einkommen niemals ärmer wird, sondern sogar seine materiellen langlebigen Güter weiterhin vermehren kann. Warum sind aber nicht nur die Deflation, sondern auch eine stabilisierte Wirtschaftsleistung auf gleichbleibendem Niveau weitgehend ein Schreckgespenst? Warum werden Politikern die Knie weich, wenn die Wachstumsraten gegen Null zu sinken drohen? Warum rufen Gewerkschaften und Unternehmerverbände unisono nach Wirtschaftswachstum und warum wagen selbst die Grünen kaum noch auf die damit verbundenen Umweltfolgen hinzuweisen? Eine Antwort auf diese Fragen und ebenso auf jene nach den deflationären Gefahren ergibt sich aus den Mechanismen der bei uns ablaufenden Verteilungen der Einkommen:
Die Modalitäten der Einkommensverteilung Überprüfen wir vor diesem Hintergrund die tatsächlichen Leistungs- und Verteilungsentwicklungen in Deutschland, und zwar bezogen auf die wichtigsten Größen, dann ergeben sich langfristig betrachtet folgende Relationen:
Tabelle A: Entwicklung der nominellen Gesamtgrößen (in Mrd. DM). Vergleicht man die Anstiegsquoten in Tabelle A, dann fällt auf, dass diese bei den vier realwirtschaftlichen Größen relativ ähnlich sind, lediglich die Lohn-Nettogröße liegt deutlich darunter. Völlig aus dem Rahmen aber fallen die fast explosiven Anstiegsquoten der beiden monetären Vergleichsgrößen, wobei die Zinserträge der Banken in etwa mit der Schuldenzinsbelastung in unserer Volkswirtschaft gleichzusetzen sind. Während diese Bankzinserträge 1950 mit drei Milliarden DM und drei Prozent des BIP noch ziemlich belanglos waren, hatten sie im Jahr 2000 mit 724 Mrd. DM bereits 18 Prozent des BIP erreicht, gemessen am Volkseinkommen sogar 25 Prozent! Diese Wiedergabe der statistisch ausgewiesenen Gesamtgrößen berücksichtigt jedoch nicht, dass die Bevölkerung in Deutschland in den 50 Jahren von 47 auf 82 Millionen auf das 1,7-fache angestiegen ist, die Anzahl der Arbeitnehmer von 14 auf 35 Millionen und damit auf das 2,7-fache. Die wirklichen Entwicklungsrelationen werden darum erst deutlich, wenn man die Milliardenbeträge auf die Einwohner bzw. Arbeitnehmer umrechnet:
Tabelle B: Entwicklungen pro Kopf (in DM-Beträgen). Wie aus Tabelle B zu entnehmen, sind also nicht nur die Pro-Kopf-Nettoeinkommen der Arbeitnehmer weit hinter den Entwicklungen der Wirtschaftsleistung zurückgeblieben, sondern auch die Bruttoeinkommen. Gemessen an der Entwicklung des BIP nahmen diese Bruttoeinkommen nur um 74 Prozent zu, die Nettoeinkommen sogar nur um 57 Prozent. Dagegen sind die Geldvermögensbestände und mit ihnen die Zinserträge von 1950 bis 2000 fünf bzw. sechs Mal so rasch angestiegen wie das BIP und neun bzw. zehn Mal so rasch wie die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer!
Welche Folgen hat diese Überentwicklung? Erschwerend kommt noch hinzu, dass das Kapital, und hier vor allem das Geldkapital, bei der Verteilung immer den Erstzugriff hat. Seine Ansprüche, resultierend aus Geldvermögen bzw. Schulden mal Zinssatz, sind nicht nur vorab vertraglich festgelegt, sie nehmen, bedingt durch den Automatismus des Zins- und Zinseszinseffekts, auch noch von Jahr zu Jahr zu. Und diese Ansprüche sind unausweichlich einzuhalten, unabhängig davon, ob die Wirtschaft ausreichend, unzureichend oder überhaupt gewachsen ist. Das heißt, je geringer das Wachstum der Wirtschaft, umso dramatischer wirken sich die Folgen der festliegenden und sogar weiter wachsenden Ansprüche des Geldkapitals aus. Auf Grund dieser Vorrangstellung des Geldkapitals bleiben für die Unternehmen, vor allem die verschuldeten, nur Einsparungen im Lohnbereich oder Rückstellungen von Investitionen übrig. Beides führt zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und damit einem weiteren Rückgang der Kaufkraft, der die Folgen des Konjunktureinbruchs wiederum verstärkt. Auch die konjunkturfördernden Möglichkeiten des Staates schwinden mit sinkenden Steuereinnahmen, vor allem wenn der Staat bereits in der Schuldenfalle steckt. Statt die Wirtschaftstätigkeit zu beleben, weicht er darum ebenfalls in Investitions- und Personalreduzierungen aus. Der Präsident der Landeszentralbank Niedersachsen, Prof. Helmut Kotz, hat dieses Verteilungs-Dilemma in seiner Neujahrsansprache 2001 einmal so umschrieben: "In der unvollständigen Welt, in der wir leben,....ist Arbeitslosigkeit der Mechanismus, der die Ansprüche von Lohn- und Kapitaleinkommensbeziehern, die in der Summe bisweilen höher als die Wertschöpfung sind, in Übereinstimmung bringt.... Nur dann, wenn der Reallohn, der von den Arbeitnehmern gefordert wird, zu der Mindestkapitalverzinsung passt,....wird auch die Inflationsrate stabil bleiben." Das heißt: Wenn das Wachstum der Wirtschaft nicht mit jenem des Kapitals Schritt hält, müssen die steigenden Kapitalansprüche entweder mit Arbeitslosigkeit und damit sinkenden Lohnkosten, oder mit Inflation ausgeglichen werden. Das aber heißt auch, dass unter den heutigen Bedingungen Vollbeschäftigung und Kaufkraftstabilität nur durch ein Wirtschaftswachstum in den Griff zu bekommen ist, das mindestens so hoch sein muss wie die von Jahr zu Jahr exponentiell wachsenden Ansprüche des Kapitals! Es ist verständlich, dass sich unter diesen Gegebenheiten die Parteien, Politiker und Verbände in dem Ruf nach Wachstum nicht nur einig sind, sondern sich förmlich überbieten. Vor dem Hintergrund der sozialen Folgen traut sich auch kaum noch ein Politiker das Thema Umwelt in den Mund zu nehmen oder gar solche Ökosteuern vorzuschlagen, die den Verbrauch tatsächlich drosseln und die Umwelt entlasten würden.
Was ist zu tun? Sowohl bei den Bündnis-für-Arbeit-Runden als auch den Tarifverhandlungen müsste sich also, neben Arbeitnehmern, Arbeitgebern und dem Staat, im Grunde auch das Geldkapital verpflichten, seine Ansprüche an der Entwicklung des Sozialprodukts auszurichten. Dieser Effekt würde sich im übrigen automatisch ergeben, wenn der Knappheitsgewinn des Geldes, der Zins, genauso mit den Sättigungsentwicklungen in einer Wirtschaft gegen Null sinken würde, wie das bei den Knappheitsgewinnen auf den Gütermärkten der Fall ist. Und zustande käme dieser Effekt, wenn man die heutige Möglichkeit des Geldes, sich bei Sättigungsentwicklungen von den Kapitalmärkten zurück zu ziehen und über diese künstliche Verknappung den Zins marktwidrig hoch zu halten, unterbinden würde. Das wiederum wäre durch eine Umlaufsicherung möglich, die den regelmäßigen Kreislauf des Geldes von der Zins- und Inflationshöhe unabhängig macht. Dass eine solche Überwindung der heutigen problematischen Umverteilungsfolgen und des Wachstumszwangs enorme positive Folgen haben dürfte, bedarf sicher keiner näheren Erläuterungen. John Maynard Keynes hat bereits in den 30er Jahren in seiner "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" darauf hingewiesen, dass eine solche Umlaufsicherung, von ihm als "Durchhaltekosten auf das Geld" (carrying costs) bezeichnet, "zum sanften Tod des Rentiers» führen würde und der vernünftigste Weg sei, "zum allmählich die verschiedenen anstößigen Formen des Kapitalismus loszuwerden". Ohne diese angesprochene Steuerungskorrektur in unserem Geldsystem verbleibt uns nur die Alternative, entweder mit mehr Wachstum den ökologischen Kollaps zu beschleunigen oder mit weniger Wachstum den sozialen. Mit dieser Korrektur dagegen würde sich nicht nur die Politik aus dieser fatalen Zwickmühle befreien können, sondern es würde auch das Gespenst der klassischen Deflationen endgültig verschwinden, ebenso wie die Problematik der Kreislaufstörungen, die sich heute aus einer sättigungsbedingten Deflation ergeben. Die Spaltung der Welt in arm und reich, Konzentrationsprozesse, Internationalisierung und Umweltbelastungen nehmen immer mehr zu - unsere Wohlstandsmodelle werden auf Dauer ökonomisch, ökologisch und sozial nicht haltbar sein. Neben demographischen Faktoren und technologischen Innovationen hat vor allem die Architektur unserer Finanzmärkte einen starken Einfluss auf diese globalen Entwicklungen. Was würde passieren, wenn wir eine andere Geld- und Finanzarchitektur hätten? Welche Lösungsvorschläge tauchen auf, wenn wir die Möglichkeiten eines veränderten Geld- und Finanzsystems in Betracht ziehen? Diesen Fragen widmet sich eine internationale und interdisziplinär besetzte Expertengruppe im ersten Bericht der Europäischen Akademie der Wissenschaft und Künste. In ihrem Buch "Wie wir wirtschaften werden" zeigen die Autoren, anknüpfend an den Bericht an den Club of Rome "De Grenzen des Wachstums", wie die Architektur der internationalen Finanzmärkte den Globalisierungsprozess beeinflusst. Ihr Ansatz: Geld und Geldwirtschaft sind keine Naturkonstanten, sondern beruhen auf Konventionen, die auch verändert werden können - und müssen, wenn künftig bald acht Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Unsere Geld- und Finanzsysteme können als wichtige Hebel zur Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung fungieren; allerdings nur, wenn wir ihnen die notwendige Beachtung schenken. Die Autoren unter Federführung von Stefan Brunnhuber und Harald Klimenta liefern mit ihrem Buch einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte und bieten vor allem eine optimistische Perspektive für die Zukunft.
Auszug aus dem Inhalt
Die Autoren
Die Autoren und Mitglieder der Arbeitsgruppe stehen auch als Referenten zur Verfügung. Bisherige Stellungnahmen zu "Wie wir wirtschaften werden": "In unsicheren Zeiten sind praktische und positive Überlegungen über eine nachhaltigere und humanere Zukunft wichtiger denn je. Dieses Buch leistet einen wichtigen Dienst, indem es aufzeigt, welche Bedeutung dem Geld- und Finanzsystem hierbei zukommt." Prof. Ervin Laszlo (Systemtheoretiker, Präsident des Club of Budapest) "Der Bericht zeigt eindrucksvoll, dass ein Zusammenleben auf unserem Planeten möglich ist, wenn wir die Finanzmärkte in ihrer Architektur mit berücksichtigen." Lord Weidenfeld (Mitglied des britischen Oberhauses, United Kingdom) "Der bekannte Bericht 'Die Grenzen des Wachstums' hat jetzt einen Nachfolger. 'Wie wir wirtschaften werden' zeigt, wie wichtig die Geld- und Finanzwirtschaft ist, und welche neuen Alternativen sich auftun können, wenn man die eingefahrenen Gleise verlässt. Er ist eine Bereicherung für die Nachhaltigkeitsdebatte, und bietet vor allem eine optimistische Perspektive." Prof. H.-P. Duerr ( Atomphysiker, Mitglied des Club of Rome)
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